Stellungnahme Mouhamed Lamin Dramé

Stellungnahme

Mouhamed Lamin Dramé

– mit Tränengas und Taser gefoltert und dann von der Dortmunder Polizei erschossen

Der 16-jährige Mouhamed Lamin Dramé war ein unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter aus dem Senegal und am 8. August 2022 in einer so außergewöhnlichen Krisensituation, dass er drohte, sich selbst zu verletzen oder gar zu töten. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in einer stationären Unterbringung in einer Jugendwohngruppe der St. Elisabeth Jugendhilfe an der St. Antonius Kirche in der Dortmunder Nordstadt. Kurz zuvor war er auf eigenen Wunsch wegen psychischer Probleme in einer psychiatrischen Klinik behandelt worden und äußerte sowohl gegenüber seinen Betreuern als auch gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten seine Suizidabsichten. Er verstand nur wenig oder gar kein Deutsch. Seine Muttersprachen waren Wolof und Französisch.

Wir fragen uns also: Wie und in welcher Sprache hat die Polizei eigentlich kommuniziert, um ihn zu beruhigen und seinen Selbstmord zu verhindern?

Mouhamed starb in einem Kugelhagel aus einer Maschinenpistole. Der Schrecken über den Tod eines so jungen Menschen sollte eigentlich die nationalen Schlagzeilen beherrschen, doch ein Großteil der Reaktionen erscheint eher als „Debatte“ oder Rechtfertigung für die Anwendung tödlicher Gewalt, weil Mouhamed ja ein Messer in der Hand gehalten hat.

Wir verurteilen die allgemeine Medienberichterstattung, die den Ablauf der Ereignisse so verzerrt, als ob die Polizeibeamten Mouhamed als letztmögliches Mittel erschießen „mussten“, weil der Einsatz von Reizgas und Tasern „ihn nicht beruhigen konnten“.

Warum gehörten zu den Einsatzkräften in einer suizidalen Krise keine psychologischen oder psychiatrischen Fachkräfte, oder warum warteten die Polizeibeamten nicht auf solche medizinischen Fachkräfte, die sich angemessen um Mouhamed hätten kümmern können, sondern griffen gleich selbst und im ersten Schritt übertrieben gewalttätig ein, wodurch eine ohnehin schon bestehende Krisensituation noch weiter unprofessionell eskaliert wurde?

Wie können Polizeibeamte ernsthaft „versuchen“ wollen, einen Selbstmord mittels eines chemischen Kampfstoffes („Tränengas“) und einer Elektroimpulswaffe (Taser) zu „verhindern“ und „die Lage zu beruhigen“?

Welche Kompetenzen haben eigentlich Polizeibeamt*innen, die in erster Linie für den Umgang mit Patienten in psychisch kritischen Situationen eingesetzt werden? Ist deren so genannte Amtshilfe eine Lizenz zum gewaltsamen Einschreiten oder gar eine Lizenz zum Töten?

Jede*r Mediziner*in würde für fehlerhafte tödliche Behandlungen von Patient*innen zur Rechenschaft gezogen werden – Polizist*innen jedoch haben eine uneingeschränkte Lizenz zum Verletzen und Töten, sanktioniert durch die staatlichen Behörden und Institutionen, durch Politiker*innen sowie die von den Medien einseitig erzeugte öffentliche Meinung. Es fehlt dabei jede kritische Bewertung von fehlender Kompetenz und Erfahrung sowie jede Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht. Während „Spekulationen“ über bekannte Tatsachen moralisch und rechtlich „verboten“ seien, gehört die voreingenommene und unreflektierte Konstruktion von angeblichen „Notwehrsituationen“ zur Normalität des öffentlichen Mediendiskurses über polizeiliche Tötungen und deren juristische Aufarbeitung.

Die Anwendung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und schutzbedürftige Menschen ist jedoch immer ein menschenverachtendes Problem und kann nie und unter keinen Umständen als irgendwie zielführende „Lösung“ angenommen werden!

Unzählige Fälle von Polizeigewalt, rassistisch motivierten Aggressionen und extralegalen Tötungen schutzbedürftiger Menschen durch im Umgang mit psychischen Krisensituationen unzureichend geschulte Polizeibeamte sind ein leider nur allzu bekanntes Phänomen – doch Lernprozesse oder gar eine Fehlerkultur lässt sich in den Behörden leider nirgendwo erkennen. Eher im Gegenteil: der Status Quo ist garantierte Straffreiheit durch alle verfügbaren Mittel und Manipulationen.

Während wir den Verlust von Mouhamed betrauern, teilen wir gleichzeitig auch noch die Trauer, den Schmerz, die Wut und den Kummer über weitere Morde in der jüngsten Vergangenheit:

  1. August – ein 23-jähriger Schwarzer Mann aus Somalia wurde in den frühen Morgenstunden von der Polizei in Frankfurt durch einen Kopfschuss hingerichtet
  2. August – der 48-jährige Jozef Berditchevski, ein stadtbekannter Straßenmusiker russischer Nationalität, wurde in seiner Wohnung von 2 Kölner Zivilpolizisten bei einer Zwangsräumung erschossen
  3. August – ein 39-jähriger Mann in einem offensichtlich psychotischen Zustand wurde von der Polizei Recklinghausen nach Pfeffersprayeinsatz zu Tode fixiert.

Und wir betrauern natürlich auch die vielen schon vorher begangenen Morde an

Kamal Ibrahim – am 3. Oktober 2021 von der Polizei Stade erschossen – 13 Schüsse

Omar K. – erschossen am 28. Mai 2021 von der Hamburger Polizei – 7 Schüsse

Mohamed Idrissi – erschossen am 18. Juni 2020 von der Bremer Polizei – 2 Schüsse

Aman Alizada – erschossen am 17. August 2019 von der Polizei Stade – 5 Schüsse

Adel B. – erschossen am 18. Juni 2019 durch die Polizei Essen – 1 Schuss (durch eine Tür)

Matiullah Jabarkhil – am 13. April 2018 von der Polizei in Fulda erschossen – 12 Schüsse

Diese Liste bedeutet ausdrücklich nicht, dass deutsche Polizeibeamte keine Weißen Menschen in psychischen Krisensituationen erschießen oder anderweitig töten würden – aber sie verdeutlicht eindrücklich, dass die unangemessene und kontraproduktive Exekutionen von verletzlichen Schwarzen Menschen und People of Colour in Krisensituationen durch die Polizei keinerlei rechtliche oder andere institutionelle Konsequenzen haben.

Kein einziger dieser Fälle führte zu strafrechtlichen Anklagen oder auch nur zu einer Disziplinarstrafe für die Beamten. Um künftige Gewaltanwendung zu verhindern und das Vertrauen der Community zu stärken, muss zukünftig Rechenschaft abgelegt werden.

Wir verstehen all diese Fälle als Fälle rassistischer Ungleichbehandlung und rassisch motivierter Brutalität, die tief in unserer institutionellen und systemischen Unterdrückung verwurzelt sind.

Wir verstehen den historischen Kontext und verurteilen die systemische Legalisierung der Entmenschlichung Schwarzen Lebens in deutschen Gesetzen, der deutschen Verwaltung, den deutschen Medien und allgemeinen gesellschaftlichen Praktiken und Verhaltensweisen.

Wir werden nicht zulassen, dass der Tod des 16-jährigen Mouhamed Lamin Dramé umsonst gewesen ist.

Seine Ermordung ist eine ernüchternde Erinnerung an die Notwendigkeit, wieder einmal für den Wert des Schwarzen Lebens in diesem Land kämpfen zu müssen, in dem ein Schwarzes Kind in einer psychischen Krise ungestraft gequält und ermordet werden kann.

Die BLACK COMMUNITY COALITION OF JUSTICE & SELF-DEFENCE fordert alle couragierten zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen auf, schnell und konsequent zu intervenieren, um den Mord an Mouhamed rückhaltlos aufzuklären und seiner trauernden Familie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Formal fordern wir auch eine gründliche und umfassende Aufarbeitung durch den deutschen Rechtsstaat, wohl wissend, dass wir bisher in allen derartigen Fällen immer wieder schmerzhafte Erfahrungen mit systematischer Rechtsbeugung und Vertuschung machen mussten.

TOUCH ONE  –  TOUCH ALL